Zeitreise mit dem "Drehorgel-Schorsch"
Der Mann ist mehr als 90 Jahre alt, und man sieht es ihm nicht an: Georg Ellert hat die Geschichte seiner Heimat Bodenwöhr am eigenen Leibe erlebt. Freud und Leid mit seiner Familie und seinen Freunden geteilt. Rektor Oskar Duschinger hat das alles in einem Buch zusammengefasst, das unter dem Titel "Hüttenwerk und Hammersee" beim Buch- und Kunstverlag Oberpfalz herausgekommen ist. Das halbe Dorf war dabei, als der Band im Gasthaus "Jacob" vorgestellt wurde - und der Ellert Schorsch saß eher bescheiden lächelnd mitten unter ihnen.
Lausbubengeschichten
Über 500 Jahre prägten Eisenschmelze und Eisenguss den Ort zwischen Schwandorf und Bruck, aber auch die Erinnerungen an dem mit zahlreichen historischen Fotos angereicherten Band. 40 Geschichten
hat der Ellert Schorsch dem Lehrer Oskar Duschinger erzählt. Namen von Menschen tauchen auf, die ihm Gutes getan haben, großzügig darüber hinwegsahen, wenn der Schorsch und seine Freunde wieder
einmal etwas angestellt hatten. Manches erinnert an Ludwig Thomas Lausbubengeschichten.
Und der alte Mann, der sich an diesem Abend das alles anhört und sein Weizenglas dreht, lächelt verschmitzt dazu, wenn Duschinger die Episode vom "Schlachahaffa" vorliest oder die Versenkung des
Kahns erwähnt wird, der zur Brauerei Jacob gehörte.
Die jugendliche Entdeckungsreise durch das Dorf führte dann doch in die harsche Arbeitswelt im Hüttenwerk, dessen Ende Ellert wehmütig erlebte. Im Buch wird geschildert, wie das gesammelte Wissen und
die ganze Erfahrung einer langen Werksgeschichte verbrannt wurden.
Es ist in der Tat nicht nur das Leben des über 90-Jährigen, das da erzählt wird, und das Auf und Ab eines oberpfälzischen Dorfes. Die
Geschichte steht für Generationen, für viele Gemeinden in Bayern, für ihren Weg aus der vielleicht guten, alten in die moderne Zeit.
Die 20er Jahre werden wieder lebendig, wenn der Schorsch seine Drehorgel in Gang setzt, mit der er immer noch bei Festen auftritt, wenn "Nordseewellen", "La Paloma" und das "Böhmerwaldlied"
erklingen. Als Bub hat er Vögel gefangen. Seit 1954 ist er Mitarbeiter der Vogelwarte Radolfszell, hat sich als "Storchenvater" über Bayern hinaus einen Namen gemacht: ein erfülltes Leben in der Tat
bis in die Gegenwart.
Oskar Duschinger ist einer jener Pädagogen, denen die Heimatforschung so viel verdankt. Und er hat auch diesmal den richtigen Ton gefunden, hat die Geschichten an den roten Faden angeknüpft, an
dessen Ende heute die Buben und Mädchen sitzen, die zu ihm in die Schule gehen und - beneidenswert - dem Ellert Schorsch lauschen, wenn ihn ihr Lehrer zum Unterricht mitbringt.