Engelshaar und Wunderkerzen

Für angeregte Debatten und Erinnerungen sorgte der Vortrag von Oskar Duschinger. Der Grundschul-Rektor aus Maxhütte-Haidhof hatte zusammen mit Georg Ellert, einem weiteren bereits verstorbenen Hüttenwerks-Urgestein, dessen Kindheits- und Jugenderinnerungen im Buch "Hüttenwerk und Hammersee" launig zusammen gefasst. In der vorgetragenen Geschichte beschrieben die Autoren mit eindrücklichen Bildern Weihnachten, wie es im Hüttenort Bodenwöhr früher gefeiert wurde - vor dem zweiten Weltkrieg.

Engelhaar und Wunderkerzen

Über Nacht hatten sich vor unserem Haus Berge von Schnee angehäuft, was uns Kindern, als wir morgens aus dem Fenster blickten, einen langen Freudenschrei entlockte. Schon lange hatten wir unsere Schlitten bereitgemacht für diesen Tag. Während wir freudestrahlend aus dem Fenster blickten, schüttete Mutter unsere Strohsäcke auf und entleerte unsere Nachthaferl im Kaltenbach. Vater dagegen marschierte zum Schuppen, holte einen ausladenden Reisigbesen heraus und kehrte den Weg zum Haus und zum „Scheißheisl“ frei. Dann schüttete er aus einem Getreidesack Körner ins Futterhäuschen, worauf kurze Zeit später eine Vogelschar das Häuschen bevölkerte. Mit einem Stoß voller Holzscheite unter Arm kam er schließlich zurück ins Haus. Im Hausgang klopfte Vater den Schnee von den Schuhen und schob die Holzscheite in den Ofen, worauf es knisterte und knackte und sich eine behagliche Wärme ausbreitete. Nun setzte sich Vater auf die Ofenbank und hielt seine klammen Finger über die wärmende Ofenplatte, während Mutter unser Leibgericht Schwammerlbrühe mit Sterz zubereitete.
Als wir nachmittags alle in der wacherl warmen Stube saßen, tagte der Familienrat. Es wurde über Weihnachten gesprochen. Aus uns Kindern quollen die Wünsche nur so heraus. Meine Schwester, das Marerl zeigte sich besonders hartnäckig und betonte immer wieder, dass sie sich eine Puppe wünsche, die „Mama“ sagen könne. Doch Mutter machte sie darauf aufmerksam, dass diesen Wunsch nur das Christkind erfüllen könne und es dazu erst einmal den Wunschzettel lesen müsse. Vater legte im Ofen noch Holzscheite nach und fütterte den Küchenherd zusätzlich mit Kohlebriketts der Marke „Sonne“, die wir günstig vom Hüttenwerk bezogen. Es gehörte mit zu den Aufgaben von uns Kindern, sie auf dem Handwagl nach Hause zu bringen. Kaum glühte die Herdplatte, kamen auch schon unsere Mitbewohner aus ihren Löchern und Ritzen gekrochen. Die Kakerlaken, die damals alle nur „Russen“ nannten, waren fast in jedem Haushalt zu Hause. Wir Geschwister hatten es uns auf dem Fußboden bequem gemacht und spielten „Mensch-ärgere-dich-nicht“ oder „Mühle“, schauten Bilderbücher an und malten in unseren Malbüchern. Auf den Tisch hatte Mutter Rabattmarken vom GEG-Konsum geschüttet, die sie nun sortierte und in Markenhefte klebte. Als Gegenwert für die Rabattmarken erhielt Mutter im Konsum Backwaren fürs Plätzchen- und Stollenbacken. Wir Kinder durften bei dieser Backarbeit stets mithelfen. Aus dem ausgewalzten Teig stachen wir mit Blechmodeln Figuren aus: Herzen, Engel, Bäume, oder auch Pferdchen. Dabei schoben wir heimlich immer wieder Teigstücke in den Mund, was Vater, der schmauchend auf der Ofenbank saß, köstlich amüsierte.
Mittendrin klopfte es an der Haustüre. Draußen stand die Vielberth Barbara („Bruckener Berm“). Kaum war sie in unserer Stube, sprudelte es nur so aus ihr heraus. Sie habe gehört, dass wir so einen schönen Christbaum heuer hätten. Sie dagegen habe beim Forstamt für 1,20 Reichsmark „an richte hoarlousen Baam krejgt“, worüber sie sich offensichtlich maßlos ärgerte. Jedes Jahr vor Weihnachten wurden vom Forstamt Bodenwöhr im Garten des Verwaltungsgebäudes Christbäume in allen Größen und Preislagen angeboten und verkauft. Doch längst nicht alle Bodenwöhrer besorgten sich dort ihren Christbaum. Viele holten sich in der damaligen „schlechten Zeit“ ihren Baum selbst aus dem Wald, was zwar durchaus der Tradition entsprach, trotzdem streng verboten war und deshalb mit empfindlichen Strafen geahndet wurde.
Der Heilige Abend näherte sich indes mit Riesenschritten. Vater holte an diesem Tag schon frühmorgens den Baum und einen Ständer aus dem Schuppen. Da ein Ast abgebrochen war, bohrte Vater ein kleines Loch in den Stamm und befestigte einen neuen Ast an unserem lädierten Christbaum. Von nun an glich unser Haus einem Wespennest. Wir Kinder waren derart aufgeregt, dass wir den ganzen Nachmittag über keine Ruhe mehr fanden. Um uns zu beruhigen machte uns Mutter zwischendurch eine Kanne Tee und legte Plätzchen und Lebkuchen dazu. Dann verschwand sie wieder im Wohnzimmer. Wir Kinder spitzten nun noch mehr unsere Ohren und versuchten mit Blicken durchs Schlüsselloch unsere kindliche Neugier zu befriedigen. Wahrscheinlich, so unsere Vermutung, halfen Mutter und Vater gerade dem Christkind beim Anhängen des Christbaumes und beim Herrichten der Geschenke.
Da ertönte der helle Klang einer Glocke. Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und auf einem Tischchen, das von einer prächtigen Seidendecke bedeckt war, stand der im Lichterglanz erstrahlende Christbaum, geschmückt mit glänzenden roten Kugeln, Engelhaar, Lametta und Wunderkerzen. Außerdem war der Baum mit  Äpfeln, Nüssen und Plätzchen behangen. Die flackernden Wachskerzen strahlten Festlichkeit und Wärme aus. Unsere Eltern waren den Tränen nahe, als sie unsere kindliche Freude sahen.
Wir stellten uns alle um den strahlenden Christbaum, neben den Vater vorsichtshalber einen Eimer Wasser gestellt hatte, um im Brandfall schnell löschen zu können, und sangen zusammen altbekannte Weihnachtslieder wie „Stille Nacht, Heilige Nacht“ oder „Oh, du Fröhliche“, wobei uns Vater auf seiner Mundharmonika begleitete. Während wir Kinder sangen, wanderten unsere neugierigen Blicke bereits zum Gabentisch, wo all die liebevoll verpackten und mit unseren Namen versehenen Geschenke lagen. Endlich durften wir unsere Geschenke in Empfang nehmen. Das Marerl bekam tatsächlich ihren Herzenswunsch erfüllt: eine Puppe, die „Mama“ sagen konnte und dabei die Augen öffnete und schloss. Meine ältere Schwester Babette bekam eine neue Puppenküche und den mit neuen Möbeln und frischer Farbe aufgefrischten Kaufladen vom vorigen Weihnachtsfest. Mein Bruder Franz erstrahlte beim Anblick seines neuen Eisstocks, und ich bekam die lang ersehnten Schlittschuhe. Dass sie gebraucht waren, tat meiner kindlichen Freude keinen Abbruch. Außerdem erhielt jedes von uns Kindern einen von Mutter gestrickten Pullover, und von Vater bekamen wir gemeinsam einen neuen Schlitten geschenkt. Unterm Christbaum stand zudem für jeden von uns ein Pappteller mit Plätzchen, Äpfeln, Nüssen, Lebkuchen sowie einer kleinen Schokoladentafel.
Dann überraschten wir Kinder unsere Eltern! Mutter bekam von uns Geschwistern modische Taschentücher aus dem Schneiderladen Lehner. Vater überreichten wir ein Packerl „Krüllschnitt“ für seine Pfeife.  Unsere Eltern freuten sich wie die Schneekönige über unsere kleinen Geschenke.
Aus der Küche duftete es bereits nach Sauerkraut. Mutter machte dazu in einem großen Topf Mettwürste warm. Hungrig nahmen wir allesamt um den Esstisch Platz. Meine Eltern gönnten sich zudem ein Glas Punsch. Das Marerl und der Franz hatten ihren ärgsten Hunger kaum gestillt, da fielen ihnen auch schon die Augen zu. Meine Eltern brachten sie zu Bett, freilich nicht, ohne ihnen vorher einige Spritzer Weihwasser auf die Stirn geträufelt zu haben. Das „Jesu-Kindlein“ konnten sie an diesem Abend nicht mehr mit ihnen beten, denn meine Geschwister waren bereits eingeschlafen.
Meine ältere Schwester Babette und ich hingegen durften die Eltern noch zur mitternächtlichen Christmette in die Pfarrkirche begleiten. Eine Wolke aus Weihrauch, dem süßen Duft aus Gottes Hand, strömte uns entgegen, als wir das Gotteshaus betraten. Der festlich geschmückte Altar, eingerahmt zwischen zwei hell erleuchteten Christbäumen, strahlte uns entgegen, während die mächtigen Kirchenglocken der Bodenwöhrer Pfarrkirche die Gläubigen zur feierlichen Mitternachtsmette riefen. Das weite Kirchenrund war gefüllt bis auf den letzten Platz, sogar an den Seiten und vor den Eingängen drängten sich die Gottesdienstbesucher. Am Schluss des festlichen Gottesdienstes wurden sogar die Kerzen an den Seitengängen entzündet und sämtliche Kirchenbesucher stimmten in das ehrwürdige Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ mit ein.
Als ich nach dem 2. Weltkrieg fern der Heimat in russischer Gefangenschaft, in elender Kälte und bitterster Not das Weihnachtsfest verbringen musste, klammerte ich mich an jene kindlichen Erinnerungen. So gelang es mir, auch hinter den dunkelsten Wolken noch die Sonne zu sehen. 

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